BANZ & BOWINKEL - PRIMITIVES
3.9.-24.10.2021
Giulia BOWINKEL und Friedemann BANZ reflektieren in ihren Arbeiten die unlängst zu beobachtende Amalgamierung digital erzeugter und realweltlicher Phänomene. Inmitten einer Ära, in der digitale Medien nicht mehr nur Part einer Wirklichkeit sind, sondern vielmehr als gestaltende Agenten, die konstitutive Basis gegenwärtiger Alltagspraktiken bilden, sensibilisiert Banz & Bowinkels computergeneriertes Werk den Blick für die Omnipräsenz der unsichtbaren Wechselwirkungen von digitalen und gesellschaftlichen Prozessen. Zunehmend konfigurieren sich digitale und physische Realitäten gegenseitig und stehen in einem komplizenhaften, statt in einem oppositionellen Verhältnis. Banz & Bowinkel setzen daher in ihrer Praxis an der konsequenten Freilegung vermeintlich existenter Grenzzonen zwischen simulierter und realer Gegenwart an, um sie als obsolet gewordene Fallstricke eines digitalen Dualismus zu dekuvrieren. So übertreten Banz & Bowinkels’ digital erzeugte Abstraktionen und virtuelle Bildsphären wiederholt den eigenen Stillstand und das Anschauungsfeld des Displays, in dem sie sowohl mittels App und VR/AR-Technologie als bewegte Animationen, wie auch in fixierter Printform im Realraum erscheinen. Teils basieren sie auf performativen Körperbewegungen und malerischen Gesten des Duos, die mit Hilfe digitaler Bewegungserfassung zu einer plastischen Simulation fluider Farb- und Texturformen transformiert (Currents, 2021) und von einem Avatar im Digitalen fortsetzt werden. Ihre Bewegungen kehren letztlich als abstrakte Komposition auf die stillgestellte Bildfläche zurück (Bodypaintings, 2016-2019) oder schweben via App als virtuelle Skulptur (Bodypaint 2016) dreidimensional im realen Raum. Vice versa vergegenständlichen sich ursächlich variable und gestaltlose Elemente der digitalen Sphäre in der physischen Welt (Poly Mesh, 2021) – Codes und Marker materialisieren sich zu alltagstauglichen Teppichen oder Bodenplatten, und rasterräumliche Editoransichten einer 3D-Software finden sich realiter im Ausstellungsraum wieder. Auf diese Weise falten sich die ästhetischen und funktionalen Gegebenheiten beider Sphären in Banz & Bowinkels Arbeiten immer wieder ineinander und stellen in der Oszillation von realem Raum, Mixed- und Virtual-Reality die Schwellen von analog/digital auf den Prüfstand. Dabei kaschieren die Arbeiten ihren medientechnischen sowie digitalästhetischen Entstehungskontext gerade nicht, sondern legen ihre rechnerbasierte Herkunft offen: Hardware wird exponiert, prozessierende Computer oder verwobene Verbindungskabel werden stets als integrale Bestandteile mitausgestellt.
Nebst der Hybridisierung gemeinhin gegensätzlich verstandener Wirklichkeitskonzepte ist für Banz & Bowinkel die Erkundung neuer bildgenerativer Prozesse und damit einer digital-künstlerischen Formensprache von Interesse. Damit wenden sie sich nicht von der Kunstgeschichte und etablierten Formen künstlerischer Produktion ab, sondern stehen vielmehr in der Fortschreibung avantgardistischer Bestreben alternative Darstellungsmodi und Wiedergabemedien zu erproben. Und dies zugunsten einer Erweiterung visueller Gegenwartskultur. In ihrem Werk finden sich zentrale Referenzen zu malerischen Strömungen der Nachkriegszeit, etwa zum abstrakten Expressionismus und zur gestischen Malerei, aber auch Anbindungen zu ihren neutralitätseuphorischen Gegenreaktionen, wie der Minimal Art, sind gegeben. So zielt vor allem die bei Kunst & Denker Contemporary ausgestellte Primitives-Serie (2018-2021) von Banz & Bowinkel auf das Verhältnis von reduzierten Formen, Kolorit und Materialität, Raumposition und Lichtwirkung ab. Gemäß dem minimalistischen Credo Donald Judds , das innovativste Werk sei weder Malerei noch Skulptur, sondern ein paradoxer Hybrid, der die eigene Bildhaftigkeit ablegt und zu einem arbiträren Objekt wird, lassen sich Banz & Bowinkels Primitives als eben solch spannungsvolle Verquickung von Volumen und bildhafter Fläche beschreiben. Anlässlich der gleichnamigen Ausstellung bei Kunst & Denker Contemporary erweitern Banz & Bowinkel ihre Primitives-Reihe um mediale Variationen, als ARs und Screen-Simulationen. Die Körper basieren auf geometrischen Grundformen eines 3D-Programms, den sogenannten grafischen Primitiven, die als flexible und amorphe Bausteine ein unerschöpfliches Gestaltungsspektrum eröffnen, in dem sie in weiteren Spezifizierungsprozessen jedwede Gestalt, Dimension und Materialität anzunehmen vermögen. Kugel, Kegel, ringförmiger Torus und Oktogon sind als vorgefertigte, basale Volumenkörper im virtuellen Formenrepertoire der Software enthalten, von denen ausgehend komplexere Modellagen erfolgen. In der Manier virtueller Readymades nehmen Banz & Bowinkel jene versatzstückartigen Körper, die im unendlichen kartesischen Koordinatenraum der Software weder definierte Größe, Gewicht noch Oberflächentextur haben und erheben sie zum zentralen Sujet der Primitives-Reihe. Gelesen als medienreflexive Geste setzen Banz & Bowinkels farbige Körper als stillstehende Objekte im Bildraum, als bewegte AR-Formationen oder als Screen-Simulationen am Evolutionssystem der physischen Realität digital erzeugter Bilder an. Die Körper scheinen lebensweltlichen Gesetzmäßigkeiten wie Schwerkraft und Gleichgewicht zu trotzen und präsentieren sich inmitten eines unendlich weißen Vakuums, in dem weder Horizont noch Kontur existieren und keinerlei räumliche Orientierung gegeben ist. Ein glänzender, weißer Kegel zentriert mit seiner fragilsten Stelle, dem spitzen Scheitelpunkt, den Hohlraum eines burgunderroten Torus und hält ohne zu kollabieren präzise Position. Eine gerundete, blaue Kapsel mit metallisch glänzenden Effekt schwebt minimal über der Bodenfläche. Umso unerwarteter muten im ausgedehnten, gleißenden Weiß Licht- und Schattenreflexe auf den variierenden Texturen an. Obgleich die Lichtsetzung kaum etwas über die Beschaffenheit der Körper verrät, verleiht sie ihnen erst ihre dreidimensionale Wirkung inmitten eines nichtexistenten Raumes und gibt in Korrelation zur Farbwirkung, mal den Eindruck einer kühl-matten und mal einer opaken, warm-wachsartigen Haptik des Oberflächenmaterials. Die Primitives rufen zwar materielle Qualitäten von Milch, Haut, Plastik oder Glas auf, negieren jedoch jedwede Strukturen, etwa Falten oder Maserungen, die Größenverhältnisse klären könnten. Obwohl sie haptisch und greifbar nahe auf der Bild- oder Screenfläche erscheinen, sind es fiktive Materialien, unmögliche Kombinationen verschiedener Texturen, Dichten und Viskositäten, die die geometrischen Objekte auf ihrer virtuellen Oberfläche ummanteln. Banz & Bowinkel heben mit den Primitives die Gegenüberstellung digitaler und physischer Realitäten auf und machen die Konstruktion der Grenzverläufe in sich selbst thematisch.
Julia Reich
The most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until they are indistinguishable from it. Mark Weiser “The Computer for the Twenty-First Century” (Scientific American, 1991, pp. 66–75)
Mit freundlicher Unterstützung von Stiftung Kunstfonds und NEUSTART Kultur
Banz & Bowinkel, PRIMITIVES, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Kai Werner Schmidt
Banz & Bowinkel, PRIMITIVES, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Kai Werner Schmidt
Courtesy: Kunst & Denker Contemporary, Banz & Bowinkel, Primitive I 09, 2018, CGI Print, gerahmt, 80 x 64 cm
Banz & Bowinkel, PRIMITIVES, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Kai Werner Schmidt
Banz & Bowinkel, PRIMITIVES, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Kai Werner Schmidt
Banz & Bowinkel, PRIMITIVES, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Kai Werner Schmidt
Banz & Bowinkel, PRIMITIVES, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Kai Werner Schmidt