BIOPHILIA - THOMAS MUSEHOLD, KATJA TÖNNISSEN, ANGELIKA J. TROJNARSKI
(English below)
SEP 6 - OCT 27 2019
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski
Die wohl größte Muse der Kunst ist seit jeher die Natur. Konsequent durch die Kunstgeschichte hinweg ist sie facettenreich als Inspirationsquelle, Untersuchungsgegenstand, Material, Motiv und Projektionsfläche auszumachen – beherbergt, verortet und spiegelt den Menschen in seinem irdischen Dasein. Insbesondere auch im Erdzeitalter des Anthropozäns, in dem sich der menschliche Fußabdruck irreversibel in die Erde eingeschrieben hat, wendet sich der Blick der Kunst verstärkt der Auseinandersetzung mit der Natur zu. Die Bandbreite der künstlerischen Annäherung ist dabei, entsprechend der unbegreiflichen, universellen Ganzheit der Natur, nahezu grenzenlos. Kunst & Denker Contemporary vereint – in direkter Nachbarschaft des Floraparks, der bereits 1860 den Bürgern in einem Palmenhaus exotische, tropische Pflanzen vorstellte – die drei Künstler*innen Thomas Musehold, Katja Tönnissen und Angelika J. Trojnarski, deren Blick auf die Natur gleichermaßen unser Staunen über diese neu entfacht. Unter dem Titel „Biophilia“, der auf den Begriff für die „Liebe zum Lebendigen“ (1964) des Psychoanalytikers Erich Fromm zurückgeht, werden vom 6. September bis 27. Oktober 2019 Objekte, Skulpturen und Gemälde ausgestellt, die sich als zeitgenössische Hommagen der Gestaltkraft der Natur zuwenden. Denn gemeinsam ist den drei Künstler*innen ihre Faszination für die Wunderwelt der Natur, für ihr Schauspiel, ihr Schöpfungspotential, ihre Vielfalt und ihre Eigenwilligkeit, aber auch für ihre Gesetzmäßigkeit und für ihre gewaltige Kraft. Diese galt lange als unantastbar und selbstverständlich: Erobern sich doch Flora und Fauna sogar die unwirtlichsten Gegenden zurück und sind resistent in ihrer Fähigkeit zur natürlichen Mutation. Doch trotz dieser Widerständigkeit werden die Auswirkungen menschlichen Eingreifens in die Natur zunehmend sichtbar. Ein Bewusstsein für die empfindliche Sensibilität der Natur steigt vor allem dann, wenn Gletscher schmelzen und die Temperaturen in Europa über 40 Grad steigen. Dann auch lenkt sich der Blick zurück auf unsere ursprüngliche Verbundenheit mit der Natur, unsere Wertschätzung für sie und ihre unermessliche Schönheit. Mit dem Feingefühl eines Paläontologen widmet sich Thomas Musehold unter anderem biologischen Wachstumsformen, die er in zeitgemäße Skulpturen übersetzt. Im Ausstellungraum begegnen wir einem amorphen Objekt das Assoziationen an eine Wurzelform oder einen unbekannten Organismus hervorruft. Die Mehransichtigkeit durch die Reflektion in dem darunterliegenden Spiegeltisch betont die komplexe, organische Form und die skulpturalen Qualitäten des Werkes, welches auf das beeindruckende Wachstumsreichtum der Biologie rekurriert. Auf einem flankierenden Plakat wird die Gestalt mit wissenschaftlicher Akribie von einem Biologen beschrieben und nochmals als Schatten seiner – um die kategorisierenden Spezifika – beraubt widergegeben. Die Perspektive des Wissenschaftlers ist lesbar eine andere als die des Ausstellungsbesuchers – der Text offenbart wie sehr Wahrnehmung, Einordnung und Interpretation vom Betrachter abhängen. Es sind diese Verschiebungen durch die Übersetzung von der visuellen Wahrnehmung in die Sprache, denen der Künstler nachspürt – aber insbesondere auch Fragen nach der Bedeutung und Erkenntnis, die im skulpturalen Charakter verborgen liegen. Wie viel Information transportiert eine vergrößerte, abstrahierte Form von ihrem Referenzobjekt? In Museholds mehrstufigem Arbeitsprozess fließen bewusst mediale Eigenheiten ein, die in unserer technischen hochentwickelten Gesellschaft zunehmend allgegenwärtig sind. Die in 3D gescannten und oftmals fragmentiert und in starker Vergrößerung gedruckten Pflanzen- und Objektreplika weisen Fehlstellen und technikbasierte Rasterungen auf, die als ästhetisches Mittel eingesetzt werden. Die biologische Form hat sich sozusagen den Bedingungen des digitalen, artifiziellen Lebensraumes angepasst. Angelika J. Trojnarski hingegen behandelt in ihrer Malerei die großen physikalischen Phänomene der Natur und deren Erscheinung. Ihre kontrastreichen und farbintensiven Werke zeugen zum einen von dem emotionalisierenden Potential, das Naturschauspiele wie Gewitter, Regenbögen, Vulkanausbrüche oder Nordlichter durch ihre visuelle Kraft besitzen, zum anderen thematisieren sie deren faszinierende physikalische Gesetzmäßigkeiten. In Fiat Lux III (2019) bricht sie mit eben diesen, indem sie Auroren, Blitze und Regen vereint und eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen herbeiführt. Mit dieser fiktiven Störung der natürlichen Kräfte lässt sie indirekt ein sehr reales Ende der Natur, wie wir sie kennen, anklingen. Ein ähnliches, Bild zeichnet die von der Künstlerin digital bearbeitete und mit Rußschwaden veredelte Fotografie einer Wolke. Entweichen hier gasförmig die Überbleibsel einer Verbrennung oder stürzt die Wolke selbst vom Himmel? Beiden Szenarien wohnt ein natürlicher und zugleich utopischer Zerstörungsakt inne. Ausgleich erfährt die entladende Wucht physikalischer Spannungen jedoch nicht nur in der Natur, die uns immer wieder auch in stille Kontemplation versetzt, sondern auch im Werk von Trojnarski. Gerahmt wird das expressive Motiv oft von unbearbeiteten reinen Papier- und Leinwandstellen oder im Fall der rauchenden Wolke von einem ansonsten hellen Himmel mit einem eher zarten Farbverlauf. So bedeutet der poetische Titel zweier Werke, Psithurism, im griechischen das Rascheln von Blättern als „Flüstern“ des Windes. Die melancholische, fast wehmütige Eleganz der Natur, die sich allem voran in den Farben des Sonnenunterganges zeigt, lässt sich auch in den skulpturalen Werken von Katja Tönnissen ausmachen. Die starken Pastellabstufungen der sinkenden Abendsonne treten auf Tönnissens Stehlampen in Erscheinung und werden zugleich passend illuminiert – unmittelbar rufen die Motive Assoziationen an eine romantischen Südseeinsel hervor. Diese vermeintliche sentimentale Trivialität wird wie der unbekümmerte Übertritt zum Design konsequent im Werk von Tönnissen weiterverfolgt: Keramiken in Form exotischer Muscheln werden zu Springbrunnen „funktionalisiert“, stilisierte Plastiksandkastenmuscheln in edler Bronze beherbergen Diskolichter. Die kulturhistorische Bedeutung und der Symbolgehalt der floralen Motive sind der Künstlerin dabei durchaus bewusst und treten ironisch zu Tage, wenn beispielsweise eine muschelförmige Keramik augenscheinlich weibliche Geschlechtsteile assoziiert. Ein widerkehrendes Motiv ist auch jenes der Palme, das als Bronzeobjekt an der Wand oder als bemalte Wandkacheln seinen Signetcharakter für Sieg und Frieden ebenso weiterträgt, als dass es als reines „Icon“ für die exotische Ferne steht. Tönnissens abstrahierender Umgang mit der Natur scheint dabei paradigmatisch für unsere heutige, auf die schnelle Rezeption ausgelegte und sich in der Flächigkeit des Fotos ausdrückende, Naturwahrnehmung. Zugleich jedoch verortet sich bei Tönnissen gerade in dieser flächigen, teilweise oberflächlichen Anmutung subversiv die reale Sehnsucht nach der Natur. So wandeln wir durch die Ausstellung – wie in dem einstigen Palmenhaus, das uns die seltene Schönheit der exotischen Vielfalt näherbrachte – und fragen uns durchaus wie es sich bald mit der Natur im Allgemeinen verhält.
Marion Eisele
engl.
The greatest muse of art has always been nature. Consistently throughout the history of art, it can be identified as a multifaceted source of inspiration, object of investigation, material, motif and projection surface - it accommodates, locates and reflects man in his earthly existence. Particularly in the Anthropozoic era, when the human footprint was irreversibly inscribed in the earth, the gaze of art increasingly turns to the confrontation with nature. The range of artistic approaches is almost limitless, corresponding to the incomprehensible, universal wholeness of nature. Kunst & Denker Contemporary unites the three artists* Thomas Musehold, Katja Tönnissen and Angelika J. Trojnarski - in the direct vicinity of Florapark, which as early as 1860 presented exotic, tropical plants to its citizens in a palm house - whose view of nature rekindled our astonishment at nature. From 6 September to 27 October 2019, objects, sculptures and paintings will be exhibited under the title "Biophilia", which goes back to the psychoanalyst Erich Fromm's term for "Love for the Living" (1964). These contemporary tributes to the creative power of nature will be devoted to the exhibition. For what the three artists* have in common is their fascination for the wonder world of nature, for its spectacle, its creative potential, its diversity and originality, but also for its regularity and its enormous power. For a long time this was regarded as inviolable and self-evident: flora and fauna conquer even the most inhospitable regions and are resistant in their ability to natural mutation. But despite this resistance, the effects of human intervention in nature are becoming increasingly visible. Awareness of the sensitive sensitivity of nature increases above all when glaciers melt and temperatures in Europe rise above 40 degrees. Then we look back at our original attachment to nature, our appreciation of it and its immeasurable beauty. With the sensitivity of a palaeontologist, Thomas Musehold devotes himself to biological forms of growth, which he translates into contemporary sculptures. In the exhibition space we encounter an amorphous object that evokes associations with a root form or an unknown organism. The multiple view through the reflection in the mirror table underneath emphasizes the complex, organic form and the sculptural qualities of the work, which refers to the impressive growth wealth of biology. On a flanking poster, the figure is described with scientific meticulousness by a biologist and once again depicted as a shadow robbed of its specifics. The scientist's perspective is readably different from that of the exhibition visitor - the text reveals how much perception, classification and interpretation depend on the viewer. It is these shifts through the translation of visual perception into language that the artist investigates - but especially also questions about meaning and knowledge that lie hidden in the sculptural character. How much information does an enlarged, abstract form transport from its reference object? In Musehold's multi-stage working process, media peculiarities are consciously incorporated that are increasingly omnipresent in our technically highly developed society. The plant and object replicas, scanned in 3D and often fragmented and printed in high magnification, show flaws and technology-based grids that are used as aesthetic means. The biological form has, so to speak, adapted to the conditions of the digital, artificial habitat. Angelika J. Trojnarski, on the other hand, deals in her painting with the great physical phenomena of nature and their appearance. Her contrasting and colour-intensive works testify on the one hand to the emotionalising potential that natural spectacles such as thunderstorms, rainbows, volcanic eruptions or northern lights possess through their visual power, and on the other hand they thematise their fascinating physical laws. In Fiat Lux III (2019) she breaks with them by uniting aurors, lightning and rain and bringing about a simultaneity of the non-simultaneous. With this fictitious disturbance of the natural forces, she indirectly evokes a very real end of nature as we know it. A similar picture is drawn by the photograph of a cloud, digitally processed by the artist and refined with a swath of soot. Do the remnants of a combustion escape in gaseous form or does the cloud itself fall from the sky? Both scenarios are living in a natural and at the same time utopian destruction. However, the discharging force of physical tensions is balanced not only in nature, which repeatedly places us in silent contemplation, but also in Trojnarski's work. The expressive motif is often framed by unprocessed pure paper and canvas or, in the case of the smoking cloud, by an otherwise bright sky with a rather delicate colour gradient. Thus the poetic title of two works, Psithurism, in Greek means the rustling of leaves as the "whispering" of the wind. The melancholic, almost melancholic elegance of nature, which is above all shown in the colours of the sunset, can also be seen in the sculptural works of Katja Tönnissen. The strong pastel gradations of the sinking evening sun appear on Tönnissen's floor lamps and are also appropriately illuminated - the motifs immediately evoke associations with a romantic South Sea island. This supposed sentimental triviality, like the carefree transition to design, is consistently pursued in the work of Tönnissen: Ceramics in the form of exotic shells are "functionalised" into fountains, stylized plastic sandbox shells in noble bronze accommodate disco lights. The artist is well aware of the cultural-historical significance and symbolic content of the floral motifs and is ironic when, for example, a shell-shaped ceramic apparently associates female genitals. A recurring motif is also that of the palm tree, which as a bronze object on the wall or as painted wall tiles carries on its signet character for victory and peace just as much as it stands as a pure "icon" for the exotic distance. Tönnissens' abstract approach to nature seems paradigmatic for our contemporary perception of nature, which is designed for rapid reception and expressed in the flatness of the photograph. At the same time, however, the real longing for nature is subversively located in Tönnissen's flat, partly superficial impression. Thus we walk through the exhibition - as in the former palm house, which brought us closer to the rare beauty of exotic diversity - and ask ourselves how nature in general will soon behave.
Marion Eisele
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani
Thomas Musehold, Katja Tönnissen, Angelika J. Trojnarski, BIOPHELIA, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Ben Harmani