CHRISTIANE PESCHEK
(English below)
Wolfgang Ullrich
Christiane Pescheks Entdeckung des ‚internet gaze’ In einem Interview bemerkte Christiane Peschek, ihre künstlerische Arbeit nehme davon ihren Ausgang, dass ein fotografisches Bild infolge der Digitalisierung „kein statisches Zeitdokument mehr ist, sondern ein fluides Konstrukt“. Damit setzt sie genau dort an, wo Künstler:innen aktuell am stärksten herausgefordert sind: Aus festen Bildern werden beliebig veränderliche Dateien, die kaum noch Werkcharakter haben; vor allem aber verdanken sich Aussehen und Metamorphosen von Bildern zunehmend Apps und KI-Programmen. Als User klickt man, gibt Befehle oder berührt sogar nur einen Screen – und darf dann gespannt sein, was für ein Bild entsteht. Das Ergebnis ist bestenfalls zu erahnen, und in jedem Fall gibt es einen mehr oder weniger großen Moment der Überraschung. So schnell und leicht immer neue Bilder und Variationen davon möglich sind, so wenig gestaltet man sie also selbst. Und was könnte für Künstler:innen, die immer darüber definiert und die dafür bewundert wurden, Bilder eigenmächtig kreieren zu können, eine größere Zäsur darstellen? Christiane Peschek aber experimentiert ganz direkt, geradezu offensiv mit diversen Bildbearbeitungsprogrammen und Filtern, unterzieht vor allem Selfies allen nur denkbaren digitalen Manövern. Dabei besteht ihre Strategie oft darin, den Einsatz einer Technik auf die Spitze zu treiben. So bearbeitet sie ein Bild etwa bis zu hundertmal mit demselben Filter, wobei das Gesicht zuerst schöner und dann unscharf wird, um schließlich entstellt und unkenntlich zu sein. Verkehrt Peschek hier den Zweck einer App durch Übernutzung ins unerwartete Gegenteil, lässt sie sich in anderen Fällen auf die glättende, harmonisierende Wirkung von Filtern ein, die alles pastellig-pink verklären. Immer aber interessiert sie, ob aus dieser digitalen Ästhetik, die Bilder insbesondere für einen smarten Austausch in den Sozialen Medien disponiert, so etwas wie ein ‚internet gaze’ entstehen kann: eine eigene Form der Wahrnehmung von Gesichtern, Körpern, Objekten. Statt unter einem spezifisch männlichen oder weiblichen Blick – ‚male gaze’ bzw. ‚female gaze’ – sichtbar zu werden, würden sie dann (sofern die Algorithmen nicht zu ‚menschlich’ konditioniert sind) frei von geschlechtlicher Vorprägung und auch insofern fluider in Erscheinung treten. Das aber dürfte im Weiteren auch zu einer Veränderung von Geschlechterrollen und Körperidealen führen. Je mehr Einfluss KI und Filter darauf nehmen, wie die Welt visuell vermittelt wird, desto stärker wird diese sich ihren ästhetischen Normen anpassen und neuen Standards gehorchen. Mit Bildern, Installationen, Büchern und Projekten erforscht Christiane Peschek die Möglichkeiten jenes ‚internet gaze’. Durch vielfältige und intensive Nutzung digitaler Tools lässt sie prägnant verdichtet sichtbar werden, was man vielleicht erst viel später einmal als dessen Merkmale identifizieren wird. Und da sie die im Netz generierte Ästhetik in den realen Raum und in greifbare Objekte transferiert, also etwa, wie bei der Serie „BLUSH TALES“, überformte Selfies auf großflächigen weichen Flies druckt, konterkariert sie auch die flachen, glatten Oberflächen der Screens. Sowohl in ihrer Gestaltung als auch in ihrer Materialität stellen die Bildwerke somit eine Verfremdung dar, und gerade damit gelingt Peschek eine sinnlich stark affizierende Vergegenwärtigung von Eigenschaften digitaler Bildlichkeit. Letztlich kann man in ihren Konzentraten sowohl die sonst längst müde gewordenen Utopien von Digitalisierung und Internet – eine Welt ohne Grenzen und Gegensätze – wiederfinden als auch dystopische Ängste bestätigt sehen, wonach alles Virtuelle in Sterilität und Kontrolle zu münden droht. So eignen sich Pescheks Arbeiten als Ausgangs- und Bezugspunkt für komplexe und kontroverse Diskussionen über die gesellschaftlichen Folgen der Netzkultur und ihrer Bilder. Dass Künstler:innen im Zeitalter fortschreitender Digitalisierung nicht länger die alleinige Hoheit im Erzeugen von Bildern haben, braucht also keineswegs zu einem Relevanzverlust zu führen. Vielmehr sind sie, wenn sie wie Christiane Peschek eigensinnige und reflektierte Formen des Umgangs mit den visuellen Phänomenen des Internet finden, sogar wichtiger denn je. Sie schaffen nämlich das, was jede künftige Gesellschaft dringend benötigt: ein Bewusstsein für die Macht digitaler Ästhetik.
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CHRISTIANE PESCHEK
Die Arbeiten von Christiane Peschek leben zwischen emotionaler Verfremdung, Selbstsakralisierung und fluider Identitätsforschung in einem erweiterten virtuellen Raum. In Bildern und multisensorischen Installationen schafft sie Dialoge, die von virtueller Erschöpfung, Intimität und Selbstidealisierung geprägt sind. Die Beobachtung des physischen Körpers auf beiden Seiten des Bildschirms, zwischen On- und Offline-Identitäten sind ein durchgängiges Thema in ihren Projekten. Worte, retuschierte Bilder, Düfte und andere sinnliche und ätherische Materialien werden zu Hybriden aus analogen Prozessen und digitaler/virtueller Transformation in einer Post-Internet-Realität. In Interaktion mit körpernahen Technologien wie Smartphones und ipads erforscht sie das „Hyper-Ego“, indem sie die Oberfläche von Touchscreens nutzt, um Erfahrungen im Schnittpunkt von Technologie und Kosmologie zu schaffen. Pescheks Arbeiten wurden international in Galerien und Institutionen wie der FOTOGALERIE Wien, Museum MARTA, UNSEEN Amsterdam, Salzburger Kunstverein, Benaki Museum Athen und dem NRW Forum Düsseldorf ausgestellt. Sie wurde mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem UNSEEN Tesla Art Trail Award, dem Ehrenpreis von Emergentes DST und dem Staatsstipendiums für künstlerische Fotografie. Ihre Arbeiten befinden sich in Sammlungen wie der ING DiBa Art Collection, dem Museum für Moderne Kunst Salzburg und dem Kupferstichkabinett Wien. Sie lebt und arbeitet in der cloud.
Solo Exhibition, BLUSH TALES, Christiane Peschek, Kunst & Denker Contemporary; exhibition view: Kai Werner Schmidt