ERRATIC FICTION - KLARA KAYSER, FYNN RIBBECK, JULIA WILCZEWSKI
ERRATIC FICTION -
KLARA KAYSER, FYNN RIBBECK, JULIA WILCZEWSKI
JUN 3 - AUG 13 2023
Welche Räume und Welten durchstreifen Katzen, während wir schlafen? Wie schnell muss ein Pferd rennen, bis sich dessen Nase verbiegt? Wie hören sich die Geschichten an, die der Kuckuck im Morgengrauen ausruft und über die taunassen Blätter streift?
Die Gruppenausstellung Erratic Fiction bringt surreale Figuren und Traumwelten zusammen, die das dem Verstand Entrückte in visuelle, klangvolle Bildwelten taucht mit Fragen, die niemand laut stellt und die sich dennoch in Gedanken und um Körper herum winden.
Die gleichnamige Arbeit Erratic Fiction (2020) von Fynn Ribbeck (geboren 1995 in Lennep, lebt und arbeitet in Düsseldorf) ist titelgebend für diese Ausstellung. Ribbecks animierter Film, der auf einem kleinen Röhrenfernseher läuft, erzählt die in sich verschachtelte Geschichte von einem Jungen, der abgeschieden in einem Haus mit seiner Katze lebt. Raufasertapete, Möbel im Gelsenkirchener Barock, geknüpfte Teppichläufer an Böden und Wänden und ein in Hellbeige ausgestattetes Badezimmer – eine dunkle Gotik von Gewesenem in der Jetztzeit, die sich in der Ästhetik des Settings entfaltet und der ein Ersuchen des Entwachsens durch filmische und mentale Projektionen innewohnt. Wie sich zurechtfinden in einem gewachsenen Erbe, in einem verwachsenen Garten, in einer sich in Fragmenten auflösenden Realität? Fynn Ribbeck verwebt Reales mit medial konstruierter Kultur. Wasserzeichnungen tanzen auf dem Vollmond, während die Fantasie des Jungen in eine Schwimmhalle mit labyrinthischen Umkleidegängen abtaucht. In welche Universen vermögen wir hinein zu schwimmen, welche Körper und Gedanken zu materialisieren? Geweckt von Kampffliegern, die wie schwarze Krähen durch den nächtlichen Himmel ziehen, zeigt sich die Kürze der Dauer, die dem Freigeistigen ohne Schlagschatten beschieden sein kann. Ribbecks Animationsfilm wird begleitet von Skulpturen, die der Künstler als digitale Körper angelegt und auf farbiger, transluzider Folie ausdruckt, um ihre einzelnen Elemente anschließend von Hand miteinander zu einem vielfarbig schimmernden, amorphen Gewebe zu vernähen. Sie stehen im Raum als fragile, aus sich selbst heraus oder durch eine Lichtquelle leuchtende Figuren, nahezu sakral. Fragmentarisch vergegenwärtigen sie das Narrativ, das ihnen der Künstler durch Programmierung eingeschrieben hat und dem fast dialogisch (ihre) Schnittmuster als frei hängende Bildtafeln im Ausstellungsraum anbei stehen.
Bilder, die im Kopf entstehen, die nicht durch die Augen führen, sind auch solche, die die Künstlerin Julia Wilczewski (geboren 1987 in Duisburg, lebt und arbeitet in Düsseldorf) in ihren Zeichnungen und Skulpturen vergegenständlicht oder materialisiert. Oftmals gehen ihre surreal-figurativen Körper aus Geschichten, Erzählungen und deren Übersetzungen hervor. Verschiebungen, die beim Transferieren von Worten oder beim Erinnern und Vorstellen von Visuellem stattfinden, überträgt die Künstlerin in eine phantastisch-symbolische Sprache der Bildhaftigkeit, die sich von realen Gegebenheiten löst, diese ins Unwirkliche überführt und von Strukturen frei macht. So ändert Wilczewski in ihren Werken Aggregatzustände, dekonstruiert anatomische (An-)Ordnungen oder Bewegungsabläufe und überführt sie in ein Refugium innerer Wünsche und Hoffnungen, die in der Realität unangetastet bleiben oder in ihrer Freiheit verteidigt werden. Im Rahmen dieser Gruppenausstellung zeigt sie mit Liquidacia (2011/12) ein in sich gedrehtes hellblaues Pferd als raumfüllende Skulptur, bei der das Haupt des abstrakt modellierten Tieres kopfsteht. Begleitet wird das Objekt von einer Reihe an Zeichnungen, etwa durch die mit Kugelschreiber auf Papier gebrachten Schlangen im Glas (Nicht einen einzigen Fuß zieht die Schlange, aufsteigend, aus dem Wasser heraus (Pferd reißt Fuß los), 2014), die in sich verästelt wie das Haupt der Medusa aus einem kolbenartigen Glasgefäß aufsteigen, sich erheben, gar aufschreien. Julia Wilczewski zeichnet oft auf Vorder- und Rückseite eines Blattes, so dass sich zwei unterschiedliche Bilder anhand sich durchdrückender Farben zu einem geheimnisvollen Bildgewebe verdichten, das die Künstlerin mitunter anhand individuell gefertigter Rahmenstrukturen umfasst, erweitert und damit einmal mehr Grenzziehungen zwischen fiktionalem Raum und real gegebener Situation touchiert.
Die dünne Haut zwischen Möglichem und Unmöglichem, die Verstand und Auge zu greifen ersuchen, reflektiert Klara Kayser (geboren 1986 in Hannover, lebt und arbeitet in Berlin und Tel Aviv) in ihrer Arbeit mirror, mirror, 2023 die aus drei Spiegelflächen besteht, unter anderem mit dem spiegelverkehrten Schriftzug und der Frage: „Where are you, my eyes?“ Die nahezu in sich vibrierenden, zitternden Buchstaben suchen nach einem Verorten – ähnlich des Augenpaares, das entlang ihrer Konturen navigiert, um die Raumebene des Niedergeschriebenen zu (be-) greifen oder um den Blickkontakt zu sich selbst herzustellen. Nahe dem Boden des Ausstellungsraumes hängen Kaysers Keramiken in Gestalt von Himmelskörpern mit Glow in the Dark-Effekt: DAY NIGHT NIGHT DAY (2020) glimmt bei einbrechender Dunkelheit mit Monden, mit Sternen, umspielt von Wortfeldern, die eigensinnig aufbegehren und rufen: „Vision, go away“. Aus Keramik, Sprache, Stimme, Klang und Papier modelliert Kayser Landschaften, die transzendieren und durch die sie anhand eines Tastens führt – entlang von Materialität und Vorstellung, konkret Sichtbarem und in Träumen oder Erinnerungen Verwandeltem, aufscheinend, hin zu Begehrtem, Verlorenem oder sinnlich (wieder) zu Entdeckendem. Mit ihrer Soundarbeit Listen to the Birds (2020) lässt Klara Kayser eintauchen in eine imaginäre wundersame Atmosphäre, die aus Lauten rufender oder singender Vogelstimmen, zirpender Insekten, rauschendem, plätscherndem, tropfendem Wasser, rau wehendem Wind, auf Blattwerk klopfendem Regen sowie aus geflüsterten, gesprochenen und gesungenen Worten der Künstlerin entwächst. Sie erzeugt mit ihrer Soundscape einen Klangraum, der in seiner Sinnlichkeit von Geheimnisvollem berichtet: etwas, das unzugänglich geworden ist oder das einzig noch als mit Wünschen beseelte Vorstellung nachhallt; etwas, das als Entmaterialisiertes um die (Wieder-) Einsicht in Vergessenes, Ungreifbares, Kosmisches bittet.
Text: Dr. Christina Irrgang