LOUISA CLEMENT - HUMAN ERROR
SOLOSHOW
KUNST & DENKER CONTEMPORARY
HUMAN ERROR - LOUISA CLEMENT
November 5, 2021 - January 23, 2022
HUMAN ERROR
von Anne-Marie Bonnet
Befragungen
Von Beginn an war Louisa Clements fotografisches Werk auf Selbstbefragungen fokussiert, auf autothematische Reflexionen des Mediums selbst und zugleich der Art, auf die Welt und sich selbst zu blicken. Die plastischen Arbeiten loten ihre eigene Verfasstheit aus und hinterfragen bisherige Modi und Themen dreidimensionaler Weltbetrachtung und -befragung. In letzter Konsequenz dieser Vorgehensweise verfließen die Grenzen zwischen verschiedenen Bildmöglichkeiten und –medien, münden in radikale Grenzgänge und Versuchsanordnungen.
Ausgehend von diesen Zweifeln an bisherigen Antworten ging Clement in der Auseinandersetzung mit einer grundlegenden Bildaufgabe vieler Kunst- und Kulturgeschichten den letzten Schritt: Sie entwarf und entwickelte nicht nur besondere Menschenbilder und Portraits, sondern ein Selbstportrait in Form von Duplizierungen sog. ‚Repräsentantinnen‘ ihrer selbst!
Phantasmen & Rhetoriken
Wie stark sie damit nicht nur alle bisherigen Phantasmen in der Tradition der Pygmalion-Mythologie ausreizte und die Rhetoriken der Autorschaft herausforderte, ist bisher nur ansatzweise erfasst. In ihrem Werk vermochte sie nicht nur die neuesten technischen und digitalen Möglichkeiten zu nutzen und zu prüfen sondern auch Kernfragen künstlerischer Traditionen weiterzudenken: solche zum Bild des Menschen, zum Portrait, zur Autorschaft angesichts aktueller Konzepte und Potenziale in Zeiten von KI. Die ‚Repräsentantinnen‘ wurden zwar als Stellvertreterinnen der Künstlerin konzipiert, aber vor allem auch als ‚Versuchsanordnung‘ zur Befragung heutigen Mensch- und Künstler:in-Seins im Kreuzfeuer der Selbstentwürfe und –darstellungen in den sog. ‚sozialen Medien‘ zwischen kreativer Phantasie und Anpassung an von den Algorithmen der Bestätigung bestimmten Anerkennungen.
Algorithmische Ego-Spiegelungen?
Bereits in ihren früheren Portrait-Serien, in denen sie scheinbar anonyme und praemorphe Köpfe von Schaufensterpuppen auf deren Individualität hin erkundete, zeichnete sich diese Recherche der Möglichkeiten und Grenzen zeitgenössischer Individualität und Selbstbestimmung ab. Auch arbeitet Clement an und mit den neuesten Möglichkeiten KI-gestützter Bildproduktion, indem sie etwa das Manipulationspoten¬zial eines Smartphones nutzt, das den meisten Nutzer:innen nicht bewusst ist. Indem sie nun ihren eigenen Körper dupliziert und ihn gleichsam ‚ausschlachtet‘, verweist sie auf die tägliche Praxis der Nutzer:innen von Facebook und Instagram. Hinzu kommt die künstlerische Überreizung dieser Befindlichkeiten. In der Tat gehört die autothematische Reflexion zur konzeptuellen Haltung moderner und zeitgenössischer Kunst, genauso wie die Revision der Rolle der/s Autorin/s nebst der Beziehung zu den Betrachtenden und deren Involvierung in den künstlerischen Prozess. Die Re¬präsentantinnen sind ‚Alteregos‘ der Künstlerin, aber auch eine Herausforderung an Betrachtende: Was wird von einer Frau, von einer Künstlerin erwartet?
Künstliche Menschlichkeit oder menschliche Künstlichkeit?
Mit der neuesten Stufe dieser radikalen Selbstbefragung als Künstlerin und als selbstbestimmte Frau konfrontiert uns ihre Werkserie, die sie unter dem Titel ‚Human Error‘ zusammengestellt hat. Wie Billard¬kugeln rollen die fehlerhaften Köpfe ihrer Repräsentantinnen, als spielte jemand mit ihnen Bowling. (N)Aktaufnahmen des Leibes der humanoïden Puppe nach ihrem Vorbild bieten uns ungewöhnlich nahe, intime, zuweilen erschreckende Einblicke in die künstliche Leiblichkeit. Einige Bilder verwirren durch kaum erkennbare Künstlichkeit, während andere ihre ‚Unnatur‘ geradezu karikaturhaft übertrieben verdeutlichen bzw. genüsslich zur Schau stellen. Wieso diese Verzerrungen z. B. in einigen Bildern der Hände? Gerade die Künstlerhand war einst das Werkzeug des genialen Handwerkers, man denke nur an die Fetischisierung der ‚Künstler-Handschrift‘; hier ist sie ein Anlass zu vielfältigen Bezügen. Auch das Wort ‚digital’ bezog sich ursprünglich auf die Finger der Hand. Die Hand verweist auf das Haptische, eine Dimension, die gerade in den Bildenden Künsten, insbesondere den bildbezogenen, stets zu kurz kommt. Clements Werk verweist bereits in früheren Werken auf diesen visuell-haptischen Hiatus. Die Konsistenz der Hände in ihrer sowohl an echte Epidermis erinnernde Farbigkeit als auch ihrer offensichtlichen Künstlichkeit verfügt über eine ambivalente, polymorph perverse Anziehungskraft, die Haptisches visuell ausreizt. Indem Clement die Artifizialität ihrer puppenhaften Alter-Egos betont, übernimmt sie die Kontrolle über deren ‚Benutzung‘ und verweist zugleich auf deren Verletzlichkeit, auch durch ihre eigenen Misshandlungen - gleichsam ein Hinweis auf die Fragilität des eigenen Künstler-Status‘, stets darauf angewiesen, ausgestellt zu wer-den, ein Zustand, der mit dem englischen Begriff ‚exhibition‘ genau erfasst ist.
Ist Irren menschlich?
Dass in ‚Human Error‘ erneut Grenzgänge heutigen Menschenseins/ aktueller Menschlichkeit gewagt werden, führt auch jenes Bild vor, in dem eine Repräsentantin einen lebenden Säugling so liebevoll wie möglich im Arm hält. In der Konfrontation der ungelenken unmittelbar natürlichen Körperlichkeit des Kindes mit der artifiziellen Handhaltung der Repräsentantin wird eine Kluft sichtbar, die einen frösteln lässt.
Worin besteht nun der ‚Human Error‘? Sind es die Schwachstellen, die Fehler des Menschseins, der Menschlichkeit, des Menschen als ehemaligen Naturwesens oder des Menschen als sozialen Wesens? Was ist fehlerhaft? Dass der Mensch sich prothetisch zu optimieren versucht? Besteht der Fehler vielleicht im Gegenteil darin, dass ‚der Mensch‘ eben nicht die Eigenschaften der KI und der humanoïden Maschine erreicht? Während im Alltag die allgegenwärtigen algorithmischen Manipulationen unserer Selbst- und Weltwahrnehmung vergessen und/oder -drängt werden, konfrontiert uns Louisa Clements Kunst mit den möglichen Konsequenzen/Auswüchsen unserer Bequemlichkeit bzw. mit den Gefährdungen unseres Menschseins in der digitalen Gegenwart. Vielleicht besteht der Fehler in unserem Glauben an die Überlegenheit des Menschen? Oder an jene der sog. ‚menschlichen Natur‘?
Courtesy: Kunst & Denker Contemporary, Louisa Clement, Human Error, Videoloop, 2021
Louisa Clement, HUMAN ERROR, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Bernhard Adams
Louisa Clement, HUMAN ERROR, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Bernhard Adams
Louisa Clement, HUMAN ERROR, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Bernhard Adams
Louisa Clement, HUMAN ERROR, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Bernhard Adams
Louisa Clement, HUMAN ERROR, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Bernhard Adams
Louisa Clement, HUMAN ERROR, Kunst & Denker Contemporary, exhibition view: Bernhard Adams
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